Struktur eines Proteins

Bindungsscheu verbessert Impfwirkung

Forschende am BIH und Max Delbrück Center haben einen neuen Ansatz für Impfstoffe gegen das Coronavirus entwickelt und nutzen dafür veränderte Spikeproteine mit geringerer Bindungsfähigkeit. Diese Methode könne Impfungen effektiver machen, schreibt das Team im „European Journal of Immunology“.

Gemeinsame Pressemeldung des BIH, der Charité und des Max Delbrück Centers

Herkömmliche Impfstoffe enthalten in der Regel Bestandteile (Antigene) der jeweiligen Krankheitserreger, mit denen diese an Rezeptoren auf der Oberfläche ihrer Zielzellen binden und so eine Erkrankung auslösen. Wissenschaftler*innen des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) und des Max Delbrück Center haben nun herausgefunden, dass Antigenvarianten mit geringer Rezeptorbindung bei der Entwicklung von Impfstoffen von Vorteil sein können. Der Forschungsgruppe ist es gelungen, durch Selektion bindungsscheuer Mutanten des Spikeproteins einen neuen Impfstoff gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 herzustellen. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler*innen jetzt im „European Journal of Immunology“ veröffentlicht.

Impfungen provozieren die Produktion spezifischer neutralisierender Antikörper gegen die verabreichten Erregerantigene wie zum Beispiel das Spikeprotein des SARS-CoV-2-Virus. Im Fall einer späteren Infektion können diese Antikörper dann zur Erregerabwehr mobilisiert werden. Für eine gute Impfwirkung ist es wichtig, dass nach der Impfung Erregerbestandteile in ausreichenden Mengen im Blut zirkulieren.

Die Crux bei der Geschichte

Haben sich Impfstoffbestandteile erst einmal an passende Rezeptoren auf den Zelloberflächen gebunden, sind sie vor einem Zugriff des Immunsystems mehr oder weniger geschützt.
Kathrin de la Rosa
Kathrin de la Rosa Leiterin der AG „Immunmechanismen und humane Antikörper“

Allerdings verringert sich die Anzahl der frei im Blut umher schwimmenden Erregerbestandteile, weil diese die Eigenschaft besitzen, an Rezeptoren zu binden. Häufig finden Erreger – und damit auch die verimpften Erregerbestandteile – vielerorts im Wirtsorganismus passende Rezeptoren vor, an die sie andocken können. Auch bei SARS-CoV-2 ist das so. Die zentrale Rolle spielt in diesem Fall der ACE2-Rezeptor, mit dem das Spikeprotein des Coronavirus interagiert. Dieser Rezeptor ist nicht nur in den Atemwegen vorhanden, sondern auch sonst im Körper weit verbreitet. Sowohl bei einer COVID-19-Infektion als auch bei einer Impfung kann das Spikeprotein ACE2-Rezeptoren besetzen.

Das aber dürfte mit Blick auf die Impfantwort von Nachteil sein, vermutete Kathrin de la Rosa. Die Immunologin hat eine Johanna Quandt-Professur für Immunmechanismen in der Translation am BIH inne und leitet eine Forschungsgruppe am Max Delbrück Center. „Haben sich Impfstoffbestandteile erst einmal an passende Rezeptoren auf den Zelloberflächen gebunden“, so erläutert de la Rosa, „sind sie vor einem Zugriff des Immunsystems mehr oder weniger geschützt. Sie bieten den B-Zellen, die für die Produktion erregerspezifischer Antikörper zuständig sind, weniger Angriffsfläche, weil das Erkennungsmerkmal für diese Immunzellen durch die Rezeptorbindung maskiert wird. Die Folge: Die Impfwirkung verringert sich.“

Und es könnte einen weiteren Nachteil geben: Es ist nicht auszuschließen, dass eine impfbedingte Rezeptorbindung zu zellulären Fehlfunktionen und einer Störung der Balance innerhalb des Körpers führen kann.

Ausgeklügelte Selektion

Struktur vom SARS-CoV-2 Spikeprotein mit der G502E BIBAX Modifikation in rot.

„Body Inert“ (im Körper kaum reaktiv), dabei aber „B-cell Activating“ sollte eine Vakzine idealerweise sein, so Kathrin de la Rosa. Und damit hatte das Kind auch gleich seinen Namen: BIBAX nennen die Forscher den innovativen Impfstofftyp, den sie gegen SARS-CoV-2 entwickelt und erfolgreich getestet haben. Das Spikeprotein diente „lediglich“ als Modellprotein, denn – das war von Anfang an klar – auch mit Blick auf andere Impfstoffe könnte das neue Verfahren von Interesse sein.

Bindungsscheue Varianten mit geringer Tendenz, sich an Rezeptoren – in diesem Fall an ACE2-Rezptoren – zu binden, müssten für die Entwicklung Impfstoffen von Vorteil sein, so die Vision der Wissenschaftler*innen. Sie nutzen verschiedene im Labor hergestellte Varianten des Spikeproteins, die infolge von Punktmutationen (kleinsten genetischen Veränderungen) leicht voneinander abweichende funktionelle Eigenschaften besitzen. Mit einem innovativen computergestützten Ansatz fahndeten die Forscher*innen in „Deep Mutational Scanning“-Daten nach bindungsscheuen Mutanten des Spikeantigens mit gleichzeitig hoher Immunogenität. Und sie wurden fündig. Die Antigenvariante RBD-G502E zeigte annähernd das Wunschprofil und wurde für die Herstellung eines Impfstoffs ausgewählt.

Ein neuer Impfstoff-Prototyp?

„Unsere Studien in der Zellkultur und im Tiermodell weisen auf eine Überlegenheit des neuartigen SARS-CoV-2-Impfstoffs hin, der aus unserer Sicht als Prototyp geeignet ist“, erklärt Kathrin de la Rosa. Es sei von einer gezielten, starken Wirkung auf die B-Zellen auszugehen. „Wir konnten zeigen, dass die Spikeprotein-Variante RDB-G502E fast gar nicht an ACE2-Rezeptor bindet.“ Ein Rezeptortransport ins Zellinnere, wie er nach Binden des Antigens an seinen Rezeptor typisch wäre, wurde bei Verwendung von RDB-G502E nicht beobachtet.

Auch mit Blick auf ihre Immunogenität erfüllte diese Antigenvariante die Erwartungen: Bei Kaninchen führte der RDB-G502E-basierte Impfstoff zu 3,3-fach höheren Konzentrationen neutralisierender Antikörper im Blut verglichen mit einer herkömmlichen Vakzine. Die Chancen, einen zuverlässigen Impfschutz gegen SARS-CoV-2 aufzubauen, könnten sich durch die gezielte Selektion immunogener, bindungsscheuer Erregerantigene deutlich verbessern lassen. Und auch mit Blick auf andere Erreger verspricht sich die AG de la Rosa einiges von dieser neuen Art des Impfstoff-Designs. „Für SARS-CoV-2 sind effektive Impfstoffe verfügbar, doch für andere Erreger fehlen sie trotz intensiver Forschung“ betont de la Rosa. „Wir haben erste Hinweise dafür, dass die BIBAX Strategie hilfreich für den Impfschutz gegen andere Corona- oder Herpesviren sein kann, gegen die bislang kein ausreichender Impfschutz erzielt werden konnte.“ Diesen Hinweisen möchte das Team um Kathrin de la Rosa nun weiter nachgehen.

Text: BIH

 

Weiterführende Informationen

 

Literatur

Christoph Ratswohl et al. (2023): „A design strategy to generate a SARS-CoV-2 RBD vaccine that abrogates ACE2 binding and improves neutralizing antibody responses“; in “European Journal of Immunology; DOI: 10.1002/eji.202350408

 

Downloads

Struktur vom SARS-CoV-2 Spikeprotein mit der G502E BIBAX Modifikation in rot. Credits: de la Rosa Lab, Max Delbrück Center

 

Pressekontakt

Dr. Stefanie Seltmann
Leiterin Kommunikation
Berlin Institute of Health (BIH) at Charité
+49 (0) 30 450 543019
stefanie.seltmann@bih-charite.de
Pressestelle-bih@bih-charite.de

Über das Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité

 

Die Mission des Berlin Institute of Health (BIH) ist die medizinische Translation: Erkenntnisse aus der biomedizinischen Forschung werden in neue Ansätze zur personalisierten Vorhersage, Prävention, Diagnostik und Therapie übertragen, umgekehrt führen Beobachtungen im klinischen Alltag zu neuen Forschungsideen. Ziel ist es, einen relevanten medizinischen Nutzen für Patient*innen und Bürger*innen zu erreichen. Dazu etabliert das BIH als Translationsforschungsbereich in der Charité ein umfassendes translationales Ökosystem, setzt auf ein organübergreifendes Verständnis von Gesundheit und Krankheit und fördert einen translationalen Kulturwandel in der biomedizinischen Forschung. Das BIH wurde 2013 gegründet und wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und zu zehn Prozent vom Land Berlin gefördert. Die Gründungsinstitutionen Charité – Universitätsmedizin Berlin und Max Delbrück Center waren bis 2020 eigenständige Gliedkörperschaften im BIH. Seit 2021 ist das BIH als so genannte dritte Säule in die Charité integriert, das Max Delbrück Center ist Privilegierter Partner des BIH.

 

Über die Charité – Universitätsmedizin Berlin

 

Die Charité – Universitätsmedizin Berlin gehört mit mehr als 100 Kliniken und Instituten an 4 Campi sowie 3.099 Betten zu den größten Universitätskliniken Europas. Forschung, Lehre und Krankenversorgung sind eng miteinander vernetzt. Mit Charité-weit durchschnittlich rund 18.200 und konzernweit durchschnittlich rund 21.600 Beschäftigten gehört die Berliner Universitätsmedizin auch 2022 zu den größten Arbeitgebern der Hauptstadt. Dabei waren mehr als 5.000 der Beschäftigten in der Pflege, über 5.200 im wissenschaftlichen und ärztlichen Bereich sowie mehr als 1.300 in der Verwaltung tätig. An der Charité konnten im vergangenen Jahr mehr als 126.000 voll- und teilstationäre Fälle sowie rund 736.900 ambulante Fälle versorgt werden. Im Jahr 2022 hat die Charité Gesamteinnahmen von rund 2,3 Milliarden Euro, inklusive Drittmitteleinnahmen und Investitionszuschüssen, erzielt. Mit den rund 284 Millionen Euro an eingeworbenen Drittmitteln erreichte die Charité einen erneuten Rekord. An einer der größten Medizinischen Fakultät Deutschlands werden rund 9.500 Studierende in Human- und Zahnmedizin sowie Gesundheitswissenschaften und Pflege ausgebildet. Darüber hinaus werden mehr als 800 Ausbildungsplätze in 12 Gesundheitsberufen sowie 8 weiteren Berufen angeboten. Max Delbrück Center Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (Max Delbrück Center) gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück, geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus rund 70 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen kleinsten Bausteinen bis zu organ-übergreifenden Mechanismen. Wenn man versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch Patient*innen zugutekommen. Das Max Delbrück Center fördert daher Ausgründungen und kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center (ECRC) und dem Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am Max Delbrück Center arbeiten 1800 Menschen. Finanziert wird das 1992 gegründete Max Delbrück Center zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Berlin.

 

Max Delbrück Center

 

Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (Max Delbrück Center) gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück, geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus rund 70 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen kleinsten Bausteinen bis zu organ-übergreifenden Mechanismen. Wenn man versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch Patient*innen zugutekommen. Das Max Delbrück Center fördert daher Ausgründungen und kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center (ECRC) und dem Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am Max Delbrück Center arbeiten 1800 Menschen. Finanziert wird das 1992 gegründete Max Delbrück Center zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Berlin.