DNA and molecules

Wenig Wissen über CRISPR, aber Zustimmung für Grundlagenforschung

Wie die Öffentlichkeit zur Genom-Editierung in den Lebenswissenschaften und zu künftigen Anwendungen steht, haben Expert*innen aus vier Ländern, auch vom MDC, in intensiven Diskussionen ausgelotet. Die meisten Befragten kannten CRISPR nicht, befürworteten aber Grundlagenforschung.

Die öffentliche Meinung unterstützt die Grundlagenforschung, doch Wissenschaftler*innen müssen mehr tun, um ihre Forschung der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Dazu gehört auch, Forschungsarbeiten in den wissenschaftlichen Prozess einzuordnen und ihre potenziellen Vorteile für die Gesellschaft klarer herauszustellen. Dies sind die beiden wichtigsten Erkenntnisse aus öffentlichen Dialog-Workshops über die Genomeditierung in der biowissenschaftlichen Forschung, die im Projekt „Open Responsible Research and Innovation to Further Outstanding Knowledge“ (ORION) stattfanden. Daran war auch das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) maßgeblich beteiligt.

Unsere Aufgabe ist es, solche komplexen wissenschaftlichen Erkenntnisse und Experimente in eine Sprache zu übersetzen, die die Öffentlichkeit versteht, denn die Menschen haben Interesse daran.
 Zoe Ingram
Zoe Ingram Koordinatorin der ORION-Aktivitäten am MDC

Die öffentlichen Dialoge fanden Ende 2019 und Anfang 2020 in vier Ländern statt: Großbritannien, Deutschland, Schweden und Tschechien. Im Mittelpunkt stand zwar die Frage der Einstellung der Öffentlichkeit speziell gegenüber der Genom-Editierung, aber einige der wichtigsten Erkenntnisse lassen sich auf die allgemeine Wahrnehmung der wissenschaftlichen Community anwenden. Darüber hinaus wurden Chancen benannt, wie sich die Wissenschaft besser mit der Öffentlichkeit austauschen kann.

„Für die Wissenschaftler*innen war es sehr aufschlussreich, zu erfahren, wie stark die Unterstützung und Begeisterung in der Bevölkerung ist“, sagte Zoe Ingram, Koordinatorin der ORION-Aktivitäten am MDC, während der virtuellen Präsentation am 11. März. „Unsere Aufgabe ist es, solche komplexen wissenschaftlichen Erkenntnisse und Experimente in eine Sprache zu übersetzen, die die Öffentlichkeit versteht, denn die Menschen haben Interesse daran.“

Ein etwas anderes Teilnehmer*innenspektrum

Die ORION-Dialoge waren ein Gemeinschaftsprojekt mit dem globalen Marktforschungsunternehmen Ipsos MORI. In jedem Land wurden 30 Personen eingeladen, sich an den anderthalbtägigen Gesprächen am Runden Tisch zu beteiligen. Der Auswahlprozess strebte eine repräsentative Zusammenstellung von Teilnehmer*innen mit möglichst vielfältigen Hintergründen an. Das Projekt folgte damit einem anderen Prinzip als sonstige Outreach-Veranstaltungen der Wissenschaft, deren Teilnehmer*innen in der Regel aus eigenem Antrieb erscheinen.

Das Koordinationsteam stellte Gruppen aus jeweils 30 Bürger*innen zusammen. Die Gruppen sollten jedoch nicht das jeweilige Land repräsentieren, Ziel waren vielmehr qualitative Daten, denen später quantitative Befragungen folgen können. „Trotz der geringen Zahl der Teilnehmer*innen […] zeigen einige Ergebnisse eine recht hohe Übereinstimmung in allen Ländern. Dadurch wissen wir, wo in der wissenschaftlichen Community Verbesserungspotenzial besteht“, sagte Dr. Emma Martinez-Sanchez, Koordinatorin des öffentlichen ORION-Dialogs.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse war, dass die Grundlagenforschung zwar prinzipiell breiten Zuspruch erhält, aber das Verständnis für ihre Rolle begrenzt ist. Forschungseinrichtungen können daher mithelfen, zu erklären, wie sich die Grundlagenforschung in den ganzen wissenschaftlichen Prozess einfügt. Ebenso können sie wesentliche Unterschiede zwischen explorativer, translationaler und klinischer Forschung aufzeigen.

Wenig Wissen über Genom-Editierung

Am Beginn jeder Veranstaltung stand ein Test, um das Wissen der Teilnehmer*innen zu Grundlagen der Biologie und zur Genom-Editierung abzufragen. Dabei zeigte sich, dass bei vielen Teilnehmer*innen ein Verständnis biologischer Grundbegriffe wie DNA, RNA und Zellen fehlte. Auch kannten oder verstanden sie in der Regel das Konzept der Genom-Editierung zunächst nicht.

Najin und Fatu, die letzten Individuen ihrer Art, im Ol Pejeta Conservancy in Kenia.

Anschließend wurden Fallstudien aus der Grundlagenforschung zur Genom-Editierung präsentiert, beispielsweise zum Ausschalten von Proteinen, um deren Funktion im Körper besser verstehen zu können. Auch eher anwendungsorientierte Beispiele kamen zur Sprache, etwa die Entwicklung nährstoffreicherer Feldfrüchte oder die Umwandlung von Hautzellen in Eizellen zur Rettung des Nördlichen Breitmaulnashorns.

Die Teilnehmer*innen schätzten dann ein, was sie für akzeptabel hielten und was nicht. Mitunter veränderten sich die Meinungen im Laufe der Gespräche, da die Teilnehmer*innen Neues dazulernten oder zusätzliche Szenarien in Betracht zogen. Im Großen und Ganzen überwog die Hoffnung angesichts der möglichen Vorteile, insbesondere bei medizinischen Anwendungen, aber es gab auch Vorbehalte bezüglich der Fairness und in Regulierungsfragen.

Sehr verschiedene Sichtweisen zu CRISPR

Die Teilnehmer*innen zeigten großes Interesse an der Motivation der Wissenschaftler*innen für ihre Forschung, und umgekehrt lernten auch die Forscher*innen viel Nützliches hinzu.

„Wenn ich an CRISPR denke, […] sind meine Gedanken dazu ganz andere als die vieler Menschen in der Öffentlichkeit“, sagte Dr. Fredrik Wermeling, Forscher am Karolinska-Institut in Schweden. „In den Gesprächen kamen Dinge zutage, die mir nie in den Sinn gekommen wären.“

Wermeling leistet gern Öffentlichkeitsarbeit, bedauerte aber, dass das akademische System keine Anreize dafür setzt – ganz im Gegenteil, denn durch Öffentlichkeitsarbeit bleibt weniger Zeit für Stipendienanträge und Forschungspapiere.

„Menschen ändern ihre Einstellung“

Dr. Andreas Ofenbauer nahm als Experte an den Dialogen teil. Zum damaligen Zeitpunkt war er Doktorand am MDC und setzte CRISPR in mikroskopisch kleinen C. elegans-Würmern ein. Einerseits fiel es ihm schwer, neutral zu bleiben, um die Meinungsbildung der Teilnehmer*innen nicht zu beeinflussen, andererseits empfand er die Gespräche als sehr bereichernd. „Man muss viel mehr Menschen außerhalb seiner Filterblase kennenlernen“, sagte Ofenbauer.

Andere waren angetan vom respektvollen und produktiven Charakter der Gespräche, der sich vom weitaus feindseligeren Grundton vieler Online-Diskussionen abhob. „[Menschen] wünschen mehr Informationen, lernen sehr bereitwillig Neues und können ihre Einstellung ändern“, sagte Dr. Carine Stapel, Postdoktorandin am britischen Babraham Institute.

Würden Sie inhalieren?

Zum ORION-Projekt gehörte auch eine Kunstinstallation mit dem Titel „ÆON – Trajectories of Longevity and CRISPR“. Sie setzt sich mit der Möglichkeit auseinander, den Alterungsprozess mithilfe eines CRISPR-Inhalationsgeräts aufzuhalten. Das Werk stammt von der Künstlerin Emilia Tikka, die es während eines Gastaufenthalts am MDC schuf. Es löste eine intensive Debatte aus: Vor allem in Großbritannien und Tschechien waren viele Menschen dagegen, die Technologie auf diese Weise zu nutzen. In Deutschland war das Verhältnis zwischen Gegner*innen und Befürworter*innen ausgeglichen. In Schweden meinten viele, dass sich das Kunstwerk gut für öffentliche Räume oder zu Bildungszwecken in Schulen eignen würde.

„In Deutschland konnten wir mit dem Kunstwerk sehr erfolgreich eine Debatte über die Technologie und die Genom-Editierung auslösen“, sagte David Hills, Senior Research Executive bei Ipsos MORI.

Text: Laura Petersen

 

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